,

Mitten im Leben – und dann kommt die Diagnose „Demenz“

(Aus der Wochenzeitung „Zett – Die Zeitung am Sonntag” vom 27.03.2022)

 

Wenn ein Familienmitglied an Demenz erkrankt, ist das nie leicht. Doch zumeist erkranken Menschen erst im hohen Alter, was bedeutet, dass sie keine kleinen Kinder mehr haben oder berufstätig sind. Das ist allerdings nicht immer der Fall. Die Krankheit tritt vereinzelt auch bei jüngeren Menschen auf. Eine Südtiroler Familie erzählt.

Seit kurzem ist der Kleinunternehmer M. bei einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Demenzkranke dabei. „Es tut mir gut, mit anderen darüber zu reden“, erzählt er Stol+. Doch ganz genau können die Angehörigen und Betroffenen der Gruppe seine Situation trotzdem nicht nachvollziehen. „Demenz tritt meist bei älteren Menschen auf. Aber es ist etwas anderes, wenn die Krankheit einem bereits im Alter von 51 Jahren überrascht.“
Seine Frau A. (51) hat vor kurzem die Diagnose Demenz bekommen und das Leben der Südtiroler Familie ist seitdem auf den Kopf gestellt. „Wir haben zwei Kinder im Alter von 10 und 7 Jahren. Man versucht es ihnen dem Alter entsprechend beizubringen, aber es ist nicht einfach“, erzählt M.

Angefangen hat alles sehr schleichend. „Meine Frau hat knapp ein Jahr nach der Geburt unseres zweiten Kindes eine Brustkrebs-Diagnose bekommen“, erzählt der Familienvater. Nach zahlreichen Nerven- und Gesundheitszehrenden Chemotherapien überstand die Familie die Krankheit und wollte in ein neues, sorgloseres Leben starten.
Doch M. bemerkte, dass sich seine Frau langsam veränderte. Dass sie das ein oder andere vergaß, machte ihn anfangs noch nicht misstrauisch. „Das erste Mal, wo mir wirklich aufgefallen ist, dass etwas nicht stimmte, war als wir vor zwei Jahren in den Urlaub gefahren sind. Meine Frau war bevor unsere Kinder zur Welt kamen in einer Führungsposition in einem Unternehmen; sie hat damals rund 100 Arbeiter delegiert und plötzlich – im Urlaub – war sie damit überfordert, auch nur an einem fremden Ort zu sein“, erinnert er sich.

Die Ärzte bestätigten schließlich den Verdacht und teilten ihnen mit, dass seine Frau an Demenz litt.

Eine starke Familie

Für die Familie hat sich das Leben seitdem sehr verändert. Zwar ist Mama A. noch im Stande auf sich selbst zu schauen, ist nicht ans Bett gebunden und braucht keine ganztägige Pflegekraft an ihrer Seite. Doch für einen Menschen, der noch mitten im Leben steht, ist eine solche Diagnose einschneidend.
Sich um ihre beiden Kinder zu kümmern ist eine große Herausforderung geworden, die sie ohne Hilfe von anderen Familienmitgliedern kaum bewältigen kann. „Meine Mutter ist noch sehr gesund und hilft uns mit den Kindern“, erzählt M. Denn für A. ist es ein Ding der Unmöglichkeit geworden, die Zeit einzuschätzen und zu verstehen, wann ihre Kinder von der Schule nach Hause kommen und wann sie das Mittagessen für die beiden vorbereiten soll. „Sie weiß oft nicht, wie spät es ist oder wie sie sich die Zeit einteilen kann.“

Aber auch andere alltägliche Sachen sind für sie ein unüberwindbares Hindernis geworden. Beispielsweise schafft sie es nicht mehr ein Datum in einem gewöhnlichen Kalender zu finden. „In unserem Fall gerät krankheitsbedingt plötzlich auch die Ehe und Partnerschaft aus dem Gleichgewicht und in Schieflage, weil man nicht mehr auf einer Augenhöhe ist“, erklärt M.

„Das Schlimme ist, dass es für Demenz keine Hoffnung auf Besserung gibt“, sagte er. „Beim Krebs wusste man, dass es wieder besser werden kann. A. war schon immer eine Kämpferin und hat alles dafür getan, wieder gesund zu werden. Jetzt aber sagen uns die Doktoren, dass wir nur versuchen können, den Ist-Zustand so lange wie möglich stabil zu halten.“
Diese ernüchternde Erkenntnis ist etwas mit der Ehemann und Vater M. erst lernen muss, umzugehen. „Gottseidank haben wir Familienmitglieder die uns zur Seite stehen und uns unterstützen.“

Auch die Ärzte haben ihnen bis jetzt sehr weitergeholfen. „Man muss schon sagen, dass die ärztliche Betreuung hier in Südtirol sehr gut klappt. Da muss man durchaus ein Lob aussprechen“, sagt er. Allerdings merkt M. an: „Ich bin ein Kleinunternehmer und verdiene gottseidank genug, dass ich mit meinem Gehalt unsere Familie alleine erhalten kann.“ Familien, die auf die Gehälter beider Erwachsenen angewiesen sind, können in einer solchen Situation aber plötzlich auch vor einem riesigen finanziellen Problem stehen. „Denn die finanzielle Unterstützung, die für einen Fall wie unserem vom Staat vorgesehen ist, kann man nicht mehr als ein symbolisches Zeichen bezeichnen.“ Hier müsste sich unbedingt etwas tun, sagt er.

Klare Worte über!

Ulrich Seitz ist derselben Meinung. Er ist Präsident der Alzheimervereinigung Südtirol und kennt M. seitdem dieser sich bei der Selbsthilfegruppe für Demenz-Betroffene gemeldet hat.

Er findet starke Worte und fordert eine bessere Unterstützung für Menschen, die in so jungen Jahren an Demenz oder Alzheimer erkranken: „Es kann nicht sein, dass es in Südtirol keine Reha-Leistungen für junge Demenzkranke gibt und wir immer noch nicht wie in anderen Ländern Europas einen Demenzplan haben.“ Sein Verein und viele Betroffene warten schon seit einiger Zeit auf Unterstützung von Seiten der Politik: „Es wurde uns bereits 2016 versprochen, dass ein solches Strategiedokument zum Schutze von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen auf den Weg gebracht wird. Aber bis heute ist nichts passiert.“
Ulrich Seitz erklärt: „Südtirol ist jährlich mit rund 1200 Neuerkrankungen auf dem Gebiet konfrontiert, Tendenz steigend. Davon sind rund 10 bis 12 Prozent der Betroffenen bereits heute unter 60 Jahre.“ Hier muss sich etwas verändern, fordert der Präsident der Alzheimervereinigung Südtirol.

Wer sich über den Austausch unter Betroffenen informieren oder selbst der Selbsthilfegruppe beitreten möchte, kann sich unter info@asaa.it melden.

(lmk)