Nicht nur während eines Lockdown müssen Tausende von Familien im Lande bei der Pflege daheim über sich hinaus wachsen

 

Die Alzheimervereinigung Südtirol ASAA teilt aufgrund der sich erneut erheblich zugespitzten Situation rund um die Eindämmung des Corona-Virus und der damit zusammenhängenden wiederholten Reduzierung/Überlastung vieler Dienste im öffentlichen Bereich, mit, dass das Sorgentelefon weiterhin über die Grüne Nummer der Vereinigung 800660561, täglich von 7 Uhr bis 22 Uhr (auch am Wochenende) aktiv sein wird. Zudem finden die Selbsthilfegruppen unter absoluten Sicherheitsvorkehrungen sowie sämtliche individuelle Beratungen bzw. Fallbesprechungen weiterhin statt. Gerade jetzt ist es unabdingbar, dass sich Familien mit ihren Sorgen an kompetente Ansprechpartner, die selbst Erfahrungen in ihrem Umfeld mit den Auswirkungen von neurodegenerativen Störungsbildern gemacht haben, ohne komplizierten Zugang, zeitnah wenden können. „Wenn Sie also einen nahen Angehörigen mit Demenz betreuen, und gerade jetzt besonders an Ihre Grenzen stoßen, melden Sie sich für Tipps und mögliche Hilfestellungen“, so Präsident Ulrich Seitz.

Zur aktuellen Situation sei folgendes vermerkt: die Welt Gesundheit Organisation setzt immer öfters auf nicht nur kausal wirksame medikamentöse Therapien, sondern spricht im ‚Globalen Aktionsplan Demenz 2017-2025‘ von der Vision einer Welt, in der…“Demenzerkrankungen vorgebeugt werden können und Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ausreichend Fürsorge und Unterstützung erhalten, um ihr Leben so selbstbestimmt, respektvoll, würdevoll und gleichberechtigt wie möglich gestalten zu können.“ Zur Krankheitsbewältigung und Unterstützung jenseits der medikamentösen Begleittherapie sowie Symptomkontrolle gehören demnach Programme und Schulungen für Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Und hier setzt die Selbsthilfe in unserem Verein mit gezielten Aktionen, so Seitz, verstärkt an.

 

Im Bild: Ulrich Seitz und Sigrid Gregori (Teilnehmerin an den Fortbildungen von ASAA)

Wichtige, bevorstehende Termine für Interessierte sind auch die 2 Online-Konferenzen mittels Zoom zu den Thematiken „der kognitive Verfall durch die Krankheit – Gehirn-training um den Verlust der Eigenständigkeit zu verlieren“ am 24. November 2020 von 17 bis 18 Uhr und „Lebensstile: Geistes- und Gehirntraining in verschiedenen Lebensphasen“, am 1.Dezember 2020, immer zwischen 17 und 18 Uhr. Referent ist der bekannte Psychologe, Neuropsychologe und über die Landesgrenzen hinaus bekannte Dozent der Humanwissenschaften an der Universität von Mailand“, Prof.  Giuseppe Iannoccari aus Mailand.

Belastungen und Stress in der Betreuung und Pflege eines Menschen mit einer demenziellen Erkrankung wie zum Beispiel Alzheimer dürfen laut neuesten Studienergebnissen, gerade jetzt in der Corona-Zeit, keineswegs auf die leichte Schulter genommen werden.

Dem immensen Stress-Faktor in der Pflege daheim entgegen zu wirken ist dem Verein ASAA ein großes Anliegen. Durch die Nutzung der Angebote des Vereins, durch den Besuch der Selbsthilfegruppen, durch Einzelberatungen und Informationen können Betreuende und Pflegende lernen auf sich zu achten, Grenzen zu setzen, die Veränderungen als Teil der Erkrankung zu sehen, Entlastungsangebote anzunehmen und damit Belastungen und Stress zu reduzieren. Wir müssen definitiv Alarm schlagen, vor allem weil wir beobachten, wie durch die Corona-Pandemie bereits seit dem Frühjahr 2020, Tausende von Südtiroler, nicht mehr angemessen behandelt werden können. Immer öfters gibt es Probleme mit Therapieplänen, die nicht mehr regelmäßig monitoriert oder fachärztliche Leistungen, die verschoben werden. Die Ursachen hierfür liegen laut ASAA nicht nur in der Pandemie. Schon im Jänner 2020 verzeichneten wir nämlich Höchstwartezeiten für geriatrische und neurologische Erstvisiten an den Südtiroler Krankenhäusern, die weit über dem vom Staat definierten vorgegebenen Standard lagen, erinnert Ulrich Seitz. Für die Angehörigen und die Pflegenden ist es in Hinblick auf die eigene Gesundheit wichtig, von Beginn an die Betreuung und Pflege aufzuteilen, Hilfe und Entlastung anzunehmen wie z.B. durch Tagesstätten oder stundenweiser Betreuung und für das eigene seelische Wohlbefinden in Gesprächsgruppen der Selbsthilfe oder durch psychotherapeutische Begleitung zu sorgen.

Der Alzheimervereinigung Südtirol ist es ein Anliegen, die vielen Südtiroler Familien, die in der Pflege involviert sind, trotz der Vielfalt der Symptome und Veränderungen, dahingehend zu informieren, dass es durchaus gute Möglichkeiten gibt, um Spannungen im familiären Kontext zu unterbinden. Einige hilfreiche Beispiele, die wie angesprochen in Zeiten, wo nichts mehr so ist, wie einmal, sind Situationen, die wie folgt zusammengefasst werden können:

  • Häufig treten Veränderungen in der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit auf. Dies macht es den Betroffenen schwer, einem Gespräch zu folgen und erfordert daher von den betreuenden oder pflegenden Personen ein Anpassen zur besseren Verständigung. Sprechen Sie langsam und sagen Sie kurze, einfache und klare Sätze und warten Sie die Reaktion oder Antwort ab!
  • Die Wahrnehmung kann sich im Alter und bei einer demenziellen Erkrankung, aber auch durch Medikamente verändern. Hörbeeinträchtigungen und Sehstörungen können die Kommunikation erschweren. Sätze im Vorbeigehen, von oben herab oder von Hinten gesprochen erreichen die Betroffenen oft nicht.
  • Das Denken verlangsamt sich und macht es den Betroffenen schwer, alles richtig zu verarbeiten. Wenn der Inhalt einer Botschaft nicht verstanden wird, werden die mitschwingenden Gefühle wahrgenommen. Stress überträgt sich leicht auf Menschen mit Demenz, was die Gedächtnisleistung zusätzlich beeinträchtigt.
  • Demenzielle Erkrankungen können auch die Kontrolle über die eigenen Gefühle verändern. Fehleinschätzungen führen zu Kränkungen bzw. Wut oder Aggressionen über die nachlassende Gedächtnisleistung und die damit verbundene Fehlerhäufigkeit und können an den nächsten Personen ausgelassen werden.
  • Auch wenn kognitive Einbußen die Persönlichkeit verändern, so bleibt sie oder er eine Person mit Würde und ist daher respektvoll und wertschätzend zu behandeln. Dazu gehört vor allem nicht auf die Fehler aufmerksam zu machen, die veränderte Wahrnehmung und Realität anzuerkennen und nicht auf der eigenen Realität zu bestehen.
  • Gedächtniseinschränkungen beschämen und stellen das bisher gekannte Leben der Betroffenen auf den Kopf. Kein Mensch mit Demenz kann sich besser erinnern, bloß weil er oder sie auf das schlechte Gedächtnis hingewiesen werden. Im Gegenteil: Wenn Selbstverständliches und Alltägliches weniger gelingt, verursacht dies starke Selbstzweifel und Scham. Das führt zu Rückzug und Vermeiden von Situationen, in denen häufig Fehler passieren. Finden Sie so oft wie möglich etwas, was sie loben können. Geben Sie ehrliche Anerkennung für gegenwärtige oder Leistungen von Früher.
  • Die Tagesverfassung spielt eine große Rolle, wie Menschen mit Demenz erreicht werden können und reagieren. Es gibt immer einen Grund, warum sich Verhalten oder Gedächtnisleistungen ändert. Schlechter Schlaf, Durchblutungsstörungen, Vergiftungen, Nährstoff- oder Sauerstoffmangel, beginnende Infektionen, zu wenig Flüssigkeit und Schmerzen können jeweils die Gedächtnisleistung verändern und verschlechtern.

 

Nützliche Informationen über die Demez aus der RAI-Reportage von Josefin Bressel und Markus Frings zum Weltalzheimer-Tag

Rai Sender Bozen: Radiofreierfall

Von der Seite von Rai Südtirol
Treffpunkt: Werdet aktiv!
21-09-2020 12:15

HIER zum anhören

Ulrich Seitz: Viel Schatten rund um den Weltalzheimer-Tag in Südtirol: obwohl bereits im Jahre 2016 im entsprechenden Landesgesundheitsplan vorgesehen, ist bis heute der versprochene Demenzplan in Südtirol immer noch nicht verabschiedet worden.

Aktuelle Situation: Viel Schatten und wenig Licht in der Betreuung von Menschen mit Demenz

3. Auflage des Kurses von Pflegenden in Demenzfällen

 

Vor Kurzem wurde die 3. Auflage des Vertiefungskurses im Hinblick auf die Beziehung von Pflegenden zu betroffenen Demenzkranken nach intensiven Monaten des gemeinsamen Lernens in Bozen abgeschlossen.

Corona-Bedingt, musste der im Jänner 2020 gestartete Kurs für pflegende Angehörige und ausländische Hilfskräfte, der auf Anregung bzw. aktiver Initiative der Alzheimervereinigung Südtirol in enger Abstimmung mit der Weiterbildungseinrichtung „Cedocs“ äußerst professionell durchgeführt wurde, unterbrochen werden, um nun nach dem „Lockdown“ mit viel positiver Energie, wieder fortgesetzt zu werden.

Das Beeindruckende in den letzten 3 Jahren ist, so der Präsident der Alzheimervereinigung Südtirol, dass es gelungen ist, rund 80 Personen zu schulen, die nun viel mehr von der heimtückischen Pathologie wissen, und Konkretes im Pflegealltag umsetzen zu können. Sie sind zu besonders aufmerksamen Expertinnen in der Alltagsbetreuung herangewachsen.

Die meisten Familien in Südtirol entschließen sich bewusst dafür, die pflegebedürftigen Angehörigen zunächst selbst zu pflegen. Doch die wenigsten Angehörigen sind gelernte Pfleger oder Krankenschwestern. Um den Pflegealltag leichter bewältigen zu können und auch eine gewisse Sicherheit zu erlangen, bieten Kurse wie jener der ASAA den Angehörigen wichtige Basisinformationen für die häusliche Pflege. Die meisten Familienmitglieder können zwar bei hauswirtschaftlichen Angelegenheiten wie beim Putzen, Kochen oder Einkaufen helfen, da sie aber über kein Fachwissen in der Pflege verfügen, besteht oft die Angst, etwas falsch zu machen.

Im Bild: einige der 20 TeilnehmerInnen des Kurses für Pflegende von Demenzfällen, in Anwesenheit von ASAA-Präsident Ulrich Seitz (der vorletzte auf der rechten Seite)

Schwerpunkte der abwechslungsreiche Vorträge, die von Fachleuten aus den verschiedensten Sparten gehalten wurden, waren in der Ausgabe 2020:
Informationen zur richtigen Ernährung im Alter. So ist zum Beispiel Mangelernährung ein großes Problem bei älteren und pflegebedürftigen Menschen. Aber auch das Basiswissen über die Mobilisation der Pflegebedürftigen stand ebenso im Fokus wie spezifische Anweisungen zum gelenk- und rückenschonenden Heben und Tragen. Aspekte wie Anleitungen zu Pflegehandgriffen, mit dem praktischen Beispiel das Waschen im Bett, gehörten zu den Inhalten wie die Erklärung zum richtigen Umgang mit Medikamenten, Nicht zu vergessen ist schließlich die Ideenfindung für die Alltagsgestaltung, mit Möglichkeiten der Entlastung in der Pflege Zuhause. Sehr interessiert zeigten sich die großteils weiblichen Teilnehmerinnen an rechtlichen Fragestellungen, wie die Haftung oder den Versicherungsschutz. Arbeitssicherheit und Covid-19 haben sich zudem zwangsläufig zu brisanten Thematiken entwickelt, die Eingang in die Stellungnahmen der Vortragenden fanden. Ulrich Seitz ist von der Notwendigkeit dieser Schulungsvorhaben überzeugt. Aus den Berichten der Pflegenden, die in den letzten Monaten fast vollkommen mit den kranken Menschen allein gestellt waren, geht in aufrüttelnder Art und Weise hervor, dass Belastungen und Stress in der Betreuung und Pflege eines Menschen mit einer demenziellen Erkrankung wie zum Beispiel Alzheimer auf keinen Fall unterschätzt werden dürfen.  Der individuelle Verlauf und die unterschiedlichen Phasen einer demenziellen Erkrankung erfordern jeweils unterschiedliche Zugänge. Daher ist für die Betreuenden und Pflegenden wichtig, sich Informationen zu holen um flexibel auf die Veränderungen reagieren zu können. Was gestern funktioniert hat, gelingt heute vielleicht weniger. Um im stetigen Kontakt zu bleiben, bedarf es immer wieder neuer Versuche und unterschiedlicher Angebote um ins Gespräch zu kommen und in Beziehung zu bleiben, denn Stress führt zu Entzündungen und in der Folge können unter anderem Krebserkrankungen oder Depressionen auftreten. Dem entgegen zu wirken ist dem Verein ASAA ein großes Anliegen. Durch die Nutzung der Angebote des Vereins, durch den Besuch der Selbsthilfegruppen, durch Einzelberatungen und Informationen können Betreuende und Pflegende lernen auf sich zu achten, Grenzen zu setzen, die Veränderungen als Teil der Erkrankung zu sehen, Entlastungsangebote anzunehmen und damit Belastungen und Stress zu reduzieren. Was sich immer wieder in beeindruckender Manier zeigt, ist, dass sich die Belastungen massiv durch die körperlich anstrengende Pflege, die Ungewissheit, Schmerz und Trauer sowie die soziale Isolation aus Scham ergeben. Des Weiteren sind es oft Persönlichkeits- und Verhaltensveränderungen der Betroffenen, die eingeschränkte Kommunikation, der Rollenwechsel, der dauerhafte Verzicht und Einschränkungen, welche bedrückenden Schuldgefühlen und Spannungen innerhalb der Familie führen. Nicht unterschätzt werden darf, dass schwerwiegende Verhaltensveränderungen durch die Erkrankung auftreten können. In diesem Zusammenhang sprechen wir von  Aggressionen, Rückzug und Interessensverlust,  Herumwandern, einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, dem ständigen Suchen, Fragen und Wiederholen, Wahn und Halluzinationen.

Die Alzheimervereinigung „predigt“ aus diesem Grunde schon seit vielen Jahren, dass die Angehörigen und die Pflegenden, bereits von Beginn an die Betreuung und Pflege so aufteilen sollten, damit Hilfe und Entlastung effektiv angenommen werden können.