Neue Möglichkeiten der Demenz-Diagnostik

Immer mehr Menschen sind von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen.

Immer mehr Menschen sind von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen. Nicht alle wollen die Ursache für die Vergesslichkeit, Spracheinschränkungen oder Orientierungsstörungen wissen. Das kann auf der einen Seite krankheitsbedingt durch mangelndes Bewusstsein für die eigenen Einschränkungen verursacht werden, auf der anderen Seite aus dem Glauben, dass man nichts tun kann, weil es bis heute keine Heilung gibt. Oder aus Scham, weil Alzheimer als häufigste demenzielle Erkrankung mit Abhängigkeit, Last für andere und Verlusten verbunden wird. 

Das dies nicht so sein muss, zeigen Betroffene, die von ihrem Leben mit kognitiven Einschränkungen in der Öffentlichkeit sprechen. Sie erzählen, was ihr Leben mit und trotz Demenz lebenswert macht. Dazu gehört eine sichere Diagnose, Selbstbestimmung, frühzeitiger Einsatz der vorhandenen Therapien oder Maßnahmen, die den Lebensstil betreffen und die Gehirnleistung fördern.

 

 

Leitlinien für die Diagnose demenzieller Erkrankungen

Wegen der vielen möglichen Ursachen für kognitiven Abbau, Persönlichkeitsveränderung, Gedächtnisverlust und Aufmerksamkeitsstörungen ist die Diagnosestellung ein aufwendiger Prozess. 

Ein Erstgespräch bei der praktischen Ärztin oder beim Arzt steht häufig am Beginn der Abklärung von Gedächtnisproblemen. Einfache kognitive Tests und eine Laboruntersuchung geben Auskunft, wie weiter vorgegangen wird. In einer Spezialambulanz oder Memoryklinik werden bildgebende Verfahren eingesetzt, um Tumore oder andere Raumforderungen im Gehirn oder Verluste von Nervenzellen zu erkennen. Auch kognitive und neuro-psychologische Tests werden eingesetzt, um zum Beispiel Depressionen zu erkennen, die ähnliche Auswirkungen haben wie demenzielle Erkrankungen, aber vielfach besser zu behandeln sind. 

Die derzeitigen Kapazitäten der Spezialeinrichtungen in den Gedächtnisambulanzen und Memory-Kliniken führen in Südtirol teils zu langen Wartezeiten. Manche setzen daher auf eine Abklärung in anderen Regionen Italiens, Österreichs oder Deutschlands. Bei einigen Patient:innen kommt es in Folge einer falsch negativen oder positiven Diagnose auch zu falscher Behandlung.

 

 

Neue Technologien und Methoden in der Diagnostik

Diese Technologien und Methoden in der Diagnostik versprechen schnellere und präzisere Ergebnisse

In der Gruppe um den aus Südtirol stammenden Rektor der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule), Prof. Günther Dissertori wurde von zwei jungen Physikern, Dr. Max Ahnen und Dr. Janis ­Fischer, ein neuartiger PET-Scan für Tiere entwickelt. Dieses Gerät hatte gegenüber bisherigen Maschinen den Vorteil, handlicher und kostengünstiger zu sein. 

In Zusammenarbeit mit Dr. Alfred Buck, ehemaliger Leiter von NeuroPET und Mitarbeiter der Nuklearmedizin in Zürich, und Prof. Dissertori wurde ab 2016 das Projekt eines ähnlichen Gerätetyps für den Einsatz am Menschen gestartet. Die Gründung der Firma Positrigo war die Folge. (www.positrigo.com)

Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) wird zur Diagnose von verschiedenen Krankheiten eingesetzt, besonders im Bereich der Onkologie bei Krebserkrankungen, aber auch bei Bewegungsstörungen, Hirntumoren, Epilepsieverdacht und eben demenziellen Erkrankungen. Im Unterschied zur Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) kann mit dem PET-Scan das Zielorgan der Untersuchung wie Herz, Lunge oder Gehirn in seiner Funktionalität und Stoffwechselaktivität dargestellt werden. Diese Untersuchungen sind kostenintensiv und werden vorwiegend im Spitals- und Universitätsbereich angeboten.

 

 

Dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen

Bei einer PET-Scan-Untersuchung werden den Patient:innen spezielle radioaktive Marker injiziert, die sich – wie im Falle von demenziellen Erkrankungen – an im Gehirn vorhandene charakteristische Beta-Amyloid Plaques anheften.

Prof. Günther Dissertori – © ETH Zürich-Markus-Bertschi

Beta-Amyloid ist ein giftiges Eiweiß, das im gesunden Gehirn in einer biochemischen Reaktion aus dem Vorläufereiweiß Amyloid entsteht und auch wieder abgebaut wird. Im Zuge einer Alzheimer Erkrankung ist dieser Abbauprozess gestört, das Beta-Amyloid verbleibt in bestimmten Bereichen des Gehirns und stört die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen was in der Folge zu Zellverlust führt.

Auch ein neu zugelassener Blutplasma-Test aus den USA von C2N-Diagnostics kann Beta-Amyloid mit einer Genauigkeit von 86% nachweisen, allerdings erst nach Auftreten von Symptomen einer Demenz vom Typ Alzheimer. In Deutschland soll ein noch heuer zugelassener Bluttest diese Ablagerungen zu einem Zeitpunkt nachweisen, bei dem es noch zu keinen kognitiven Veränderungen oder Einschränkungen gekommen ist.

Dieser von Prof. Gewert an der Ruhr-Universität-Bochum entwickelte Bluttest soll eine Genauigkeit von 90% erreichen und kann bereits 10 Jahre vor der Manifestation von Beta-Amyloid Plaques deren zukünftige Entwicklung nachweisen. An die Genauigkeit einer PET-Untersuchung reichen diese Bluttests aber noch nicht heran.

 

 

Aber gibt es überhaupt eine nachweisbare Verbindung zwischen Amyloid-Plaques und einer Demenz vom Typ Alzheimer?

Aus Studien ist bereits bekannt, dass Beta-Amyloid-Plaques durch bestimmte medikamentöse Wirkstoffe abgebaut werden können, doch die kognitive Leistung bei den teilnehmenden Patient:innen hat sich dadurch wenig verbessert. Der Wirkstoff Aducanumab im Medikament Aduhelm© der Pharmafirmen Biogen und Eisei soll ebenfalls die Beta-Amyloid-Bildung einschränken oder verhindern. Doch auch dieses neue Medikament blieb bisher die Antwort schuldig, ob sich die kognitiven Leistungen in Folge tatsächlich positiv verändern. Deshalb hat die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) die Zulassung dieses Medikaments in der EU nicht genehmigt, auch weil es zu teils schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Gehirnschwellungen kam. Inzwischen hat Biogen den Antrag auf Zulassung in der EU zurückgezogen.

Die bisher eingesetzten medikamentösen Therapien mit Anti-Dementiva bei einer Alzheimer Erkrankung stimulieren den Gehirnstoffwechsel und können den kognitiven Abbau verzögern. Eine Heilung ist aber noch mit keinem Wirkstoff möglich. 

 

 

World Alzheimer Report 2021 – Eine Reise durch eine Demenz-Diagnose

Paola Barbarino, CEO von Alzheimer’s Disease International (ADI) äußert sich besorgt, welche Folgen Falschinformationen im Internet und damit zusammenhängende, selbstverordnete Falschbehandlungen für Menschen mit Gedächtnisproblemen haben, die aus Scham eine Abklärung vermeiden.

Sie spricht sich im Welt-Alzheimer Report 2021 für globale Antworten auf die dringenden Fragen rund um die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Diagnostik demenzieller Erkrankungen aus.

„Warum stellen Regierungen keine zuverlässigen Online-Ressourcen oder Weiterleitungen zu Alzheimer- und Demenzverbänden als erste Anlaufstelle bereit? Warum gibt es keine vertrauenswürdigen Online-Tests, die von den nationalen Gesundheitssystemen bereitgestellt werden, um besorgten Personen ein Gefühl dafür zu geben, ob sie zu ihrem Arzt gehen sollten oder nicht? Können wir nicht das Äquivalent eines Online-BMI (Body Mass Index) erstellen, um auf Demenz zu testen? Können wir die technischen, ethischen und kulturellen Herausforderungen meistern?“

Besorgniserregend scheint, dass es einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Entwicklung oder Beschleunigung einer kognitiven Verschlechterung gibt. Zu den wichtigsten von Ärzt:innen identifizierten Hindernissen für eine Demenzdiagnose gehören der fehlende Zugang zu diagnostischen Tests und Untersuchungen (38%), mangelnde Kenntnis bei der Erstellung einer Diagnose (37%) und die weit verbreitete Überzeugung, dass nichts getan werden könne. Auch mit den bestehenden Diagnoseverfahren kommt es in 30% der Fälle zu einer falschen Diagnose.  

 

Gerade bei demenziellen Erkrankungen in jüngerem Alter müssen laut Report die definitive Bestimmung der zugrunde liegenden Ursachen erfolgen, da dies Auswirkungen darauf haben kann, wie mit dem jeweiligen Zustand umgegangen wird. Unter den verschiedenen Krankheiten, die Demenz in jüngerem Alter verursachen, sind einige degenerativ, wie die Alzheimer-Krankheit, aber andere können mit der Blutzirkulation im Gehirn, Krebs, Infektionen oder auch genetischen Bedingungen zusammenhängen.

Als beste Vorgehensweise wird im Report die Kombination aus kognitiven Tests mit einem Bestätigungsscan oder Cerebrospinalflüssigkeit (CSF) durch eine Lumbalpunktion und neuen Biomarkern festgelegt.

 

 

Das Gehirn auf einen Blick

Bildgebung mit dem NeuroLF wird in Zukunft kostengünstiger und ­angenehmer für die Patient:innen, sagt Positrigo

Die Entwickler von NeuroLF beschreiben die Untersuchung wie folgt: Der Patient oder die Patientin werden über die Untersuchung aufgeklärt, geben Auskunft über mögliche Allergien, unterschreiben die Einverständniserklärung und erhalten die Injektion mit dem radioaktiven Marker. Danach muss eine Ruhezeit eingehalten werden, damit der Marker zum Zielorgan gelangen kann. Die Patient:innen werden auf dem Untersuchungsstuhl, stabilisiert, sodass sie oder er sich nicht mehr bewegen kann, z.B. durch Kissen oder durch verschiedene Bänder oder Lagerungshilfen. Vor allem der Kopf muss ruhig gehalten werden und dann wird diese „Coiffeurhaube“ wie ein Hut über den Kopf hinuntergefahren. Die Patientin/der Patient muss für die Untersuchung ungefähr 10-15 Minuten stillsitzen. 

Da der NeuroLF nur für die Bildgebung des Gehirns entwickelt wurde, haben die Proband:innen vor allem die Sitzposition mit der Möglichkeit herauszuschauen als angenehmer als bei herkömmlichen Geräten bewertet. Auch die verkürzte Untersuchungszeit wurde gelobt.

Mit dem NeuroLF sollen in einer Folgestudie gezielt auch Menschen auf Amyloid, Tauproteine oder Plaques untersucht werden. Wann und ob der Prototyp NeuroLF von Positrigo auf den Markt kommt und die beschriebenen Bluttests in Südtirol ­eingesetzt werden, ist derzeit ungewiss.

 

 

Wenn Ärzte sich unsicher bezüglich einer Diagnose sind, gibt ein PET-Scan eine klare Antwort

Dr. Alfred Buck, Nuklearmediziner und Mitbegründer von Positrigo erklärt, dass bei einer Demenzdiagnose heute die klinischen Untersuchungen weiterhin wichtig sind.

Dr. Alfred Buck, Nuklearmediziner und Mitbegründer von Positrigo erklärt, dass bei einer Demenzdiagnose heute die klinischen Untersuchungen am Anfang stehen. Die sind zwar nicht sehr spezifisch, aber notwendig für die weiteren Schritte. Es gibt zu diesem Zeitpunkt noch viele falsch positive Befunde bei Standardeinschränkungen wie Vergesslichkeit und Müdigkeit, er spricht von 30%. 

In Hinblick auf mögliche zukünftige medikamentöse Therapien, die sehr kostenintensiv sind und das Risiko von Nebenwirkungen mit sich bringen, muss der Einsatz solcher Medikamente sehr zielgerichtet erfolgen. Dies ist nur mit einer präzisen Diagnose möglich.

Dr. Buck sieht den zukünftigen Ablauf so: Wenn es wirksame Therapien gegen Amyloid oder irgend etwas anderes gibt, kann ein Screening der Bevölkerung über 60 Jahre mit einer PET Untersuchung nicht geleistet werden, weil die Kosten zu hoch und die Kapazitäten der PET-Scanner zahlenmäßig noch nicht reichen. Daher sollten zuerst Bluttests eingesetzt werden, wie sie heute bereits für den Nachweis von Amyloid bestehen. Da aber mit einer gewissen Anzahl an falsch positiven Resultaten zu rechnen ist, sollen jene Personen mit einem Nachweis von Amyloid noch eine PET Untersuchung bekommen. Diese Zahl an PET-Untersuchungen müsste dann zu bewerkstelligen sein.

„Auch für die Medikamente, die im Moment zur Verfügung stehen, ist eine 100%ge Diagnose mit minimal invasiven Methoden von Vorteil“, meint Dr. Buck.

 

 

Zukunft Diagnose Demenz

Der Diagnoseprozess im Bereich demenzieller Erkrankungen wird in Zukunft durch den Einsatz moderner Diagnoseverfahren sicherer und kürzer und sogar vor den ersten Symptomen möglich sein. Die dadurch gewonne Klarheit kann den Weg für frühzeitige Hilfen, Therapien und vorausschauende Maßnahmen ebnen. Doch gerade für jüngere Menschen mit kognitiven Einschränkungen gibt es in Südtirol kaum Angebote und Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung, Unterstützte Selbsthilfegruppen und Assistenz wie sie im Behindertenbereich praktiziert wird.  Der Verein ASAA wird auch in diesem Jahr die Anliegen derer, die mit Demenz leben,  vertreten und sie weiterhin mit großem Engagement,  neuen Angeboten und Serviceleistungen unterstützen. 

 

 

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